FINMA genehmigt erstmals Side Pockets zur Auslagerung illiquider Vermögenswerte eines Anlagefonds

Die FINMA hat einem Schweizer Anlagefonds am 23. April 2024 erstmals die Schaffung von Side Pockets gestattet. In die Side Pockets wurden illiquide russische Vermögenswerte des Fonds transferiert. Koller Law hat drei grosse Vorsorgeeinrichtungen, welche auf die Schaffung von Side Pockets hingewirkt haben, gegenüber der Fondsleitung vertreten.

Sachverhalt

Zwei Teilvermögen des Credit Suisse Index Funds (CH) Umbrella sind in Referenzindices investiert, welche per März 2022 auch Wertpapiere von sanktionierten russischen Unternehmen sowie des russischen Staats beinhalteten. Nach der Invasion Russlands in der Ukraine und den internationalen Sanktionen wurden diese Wertpapiere aus den Referenzindizes entfernt und wegen der fehlenden Handelbarkeit von der Fondsleitung seit März 2022 mit 0 bewertet, was zu einer Reduktion der NAV führte.

Sollte im Ukraine-Konflikt eine Lösung gefunden werden, werden die betroffenen Assets wieder an Wert zulegen. Damit standen die Investoren der betroffenene Teilvermögen, welche ihre Anteile zurückgeben wollten, vor der unbefriedigenden Alternative, entweder auf die Rückgabe zu verzichten oder die Anteile an die Fondsleitung zurückzugeben und so die Option auf die spätere Werterholung der derzeit mit 0 bewerteten illiquiden Vermögenswerte zu verlieren.

Die drei grossen Vorsorgeeinrichtungen Stiftung Auffangeinrichtung BVG, comPlan und die APK Aargauische Pensionskasse haben der Fondsleitung daher die Schaffung von Side Pockets beantragt und Koller Law mit der juristischen Begleitung dieses Prozesses mandatiert.

Nach einem rund 2-jährigen Dialog zwischen den Vorsorgeeinrichtungen und der Fondsleitung sowie der Fondsleitung und der FINMA hat die Aufsichtsbehörde am 23. April 2024 die Schaffung von Side Pockets genehmigt. Unseres Wissens handelt es sich hier um den ersten Anwendungsfall von Side Pockets in einem Schweizer Fonds.

Wie aus der Mitteilung der Fondsleitung vom 4. März 2024 an die Anleger der betroffenen Teilvermögen des Credit Suisse Index Fund (CH) Umbrella hervorgeht, erfolgt die Umsetzung wie folgt:

  • Die illiquiden, sanktionierten russischen Vermögenswerte werden in eine separate Anteilsklasse ausgelagert.

  • Jeder Anleger erhält Anteile an der neuen Klasse im Verhältnis zu seinem Investment in das jeweilige Teilvermögen.

  • Die Side Pocket-Klasse ist geschlossen und kann nicht gezeichnet werden.

  • Wegen fehlender Werthaltigkeit sind die betroffenen Vermögenswerte nicht handelbar.

  • Sollten die betroffenen Vermögenswerte wieder werthaltig und handelbar werden, wird die Fondsleitung die Bewertung gemäss Fondsvertrag vornehmen. Bis zur Liquidation der Side-Pocket Klasse wird die Fondsleitung aber keine Rücknahmen vornehmen.

  • Sollten die betroffenen Vermögenswerte wieder handelbar werden, wird der Asset Manager diese im besten Interesse der Anleger veräussern. Die Side Pocket Klasse kann von der Fondsleitung aber jederzeit unabhängig von der Handelbarkeit der betroffenen Vermögenswerte liquidiert werden.  

  • Der Side Pocket Klasse werden keine pauschalen Verwaltungskommissionen belastet. Die Kosten für die Lancierung etc. der neuen Klasse werden dem betroffenen Teilvermögen gemäss Fondsvertrag belastet, sollten die Vermögenswerte wieder werthaltig werden. Bis dahin trägt die Fondsleitung sämtliche Kosten.

  • Die Anleger der nicht betroffenen Teilvermögen dürfen durch die Lancierung der Side Pockets nicht belastet werden.

Rechtsgrundlage für die Schaffung von Side Pockets

Die per 1. März 2024 im Zuge der Einführung des Limited Qualified Investor Funds (L-QIF; vgl. dazu unseren Post vom 22. März 2024) revidierte Kollektivanlageverordnung sieht in Art. 110a Abs. 1 vor, dass "die FINMA auf Antrag der Fondsleitung oder der SICAV in aussergewöhnlichen Fällen, wenn dies im Interesse der Gesamtheit der Anlegerinnen und Anleger liegt und sofern der Fondsvertrag oder das Anlagereglement dies vorsieht, die Segregierung einzelner illiquider Anlagen einer kollektiven Kapitalanlage (Side Pockets) genehmigen kann."

Der Fondsvertrag des Credit Suisse Index Funds (CH) Umbrella wurde vor Inkrafttreten dieser Bestimmung erlassen und sah keinen Vorbehalt betreffend Side Pockets vor.

Allerdings war auch unter altem Recht unbestritten, dass Side Pockets – wie in einer Medienmitteilung der FINMA vom 23. Januar 2009 nachzulesen ist – "in Ausnahmefällen zur Abspaltung von illiquiden Anlagen einer kollektiven Kapitalanlage und gleichzeitiger Aussetzung des Rechts der Anlegerinnen und Anleger auf Rückzahlung für diesen abgespaltenen, illiquiden Teil des Portfolios" nach Genehmigung durch die FINMA geschaffen werden können. Aus den Treuepflichten der Fondsleitung gegenüber den Anlegern konnte unter altem Recht u.U. sogar eine Pflicht abgeleitet werden, in Ausnahmefällen illiquide Anlagen in Side Pockets auszugliedern.

Aufgrund fehlender Anwendungsfälle hat die FINMA für die Schaffung von Side Pockets aber bisher keine Praxis entwickeln können.

Die Sanktionen, welche nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine verhängt wurden, führten dazu, dass zahlreiche Wertpapiere mit einem Russland-Konnex nicht mehr handelbar waren, wodurch der Ruf nach der Schaffung von Side Pockets für eine Vielzahl kollektiver Kapitalanlagen immer lauter wurde.

Internationaler Kontext

Verschiedene Regulatoren wie die ESMA, die Central Bank of Ireland, die CSSF und die FCA haben sich ab Frühjahr / Sommer 2022 zum Teil sehr detailliert mit der Schaffung von Side Pockets für illiquide Anlagen aus Gründen des Investorenschutzes befasst und ihre Erkenntnisse publiziert. Der Tenor lautete dabei immer dahingehend, dass Side Pockets den Fonds Managern als mögliches "Liquidity Management Tool" auch dann zur Verfügung stehen sollten, wenn es an einer expliziten Rechtsgrundlage dafür fehlt.

 Unter Bezug auf entsprechende Ausführungen des European Systemic Risk Board -ESRB erachtete bspw. die ESMA in einem Public Statement vom 16. Mai 2022 die Bildung von Side Pockets als besonders geeignet, wenn ein Fonds divergierende Anlegerinteressen hat, d.h. wenn einige Anleger im Fonds investiert bleiben, während andere ihre Anteile zurückgeben wollen. Vor allem könnten Side Pockets "Erstanlegern Schutz vor potenziellen Verwässerungseffekten bieten, insbesondere wenn die illiquiden Vermögenswerte mit null oder deutlich niedrigeren Preisen bewertet werden. Ohne Side Pockets könnten die zeichnenden Anleger davon profitieren, dass sie kostenlos oder zu einem sehr niedrigen Preis in die illiquiden Vermögenswerte investieren, während diese Vermögenswerte in der Zukunft einen gewissen Wert gewinnen könnten. Side Pockets könnten genutzt werden, um insbesondere die Erstinvestoren an den potenziellen künftigen Gewinnen dieser Vermögenswerte teilhaben zu lassen."

 Die ESMA führte sodann aus, dass die UCITS-Richtlinie keine Verweise auf Side Pockets enthalte. Dies schliesse aber die Absonderung der illiquiden Assets in einem neuen UCITS oder neuen Teilvermögen und die Beteiligung der bisherigen Investoren an beiden Vermögen nicht aus.

 FINMA-Verfügung

 Der Entscheid der FINMA, Side Pockets auch ohne explizite Grundlage im Fondsvertrag oder Anlagereglement zuzulassen, deckt sich also mit internationalen Entwicklungen. Er steht sodann im Einklang mit neu Art. 110a KKV und den in den Erläuterungen des EFD zur Änderung der Kollektivanlageverordnung (L-QIF) vom 31. Januar 2024 dazu wiedergegebenen Prinzipien, wonach die Bildung von Side Pockets eine "adäquate Massnahme zur Steuerung der Liquiditätsrisiken darstellen kann, insbesondere wenn ein massgeblicher, eindeutig identifizierbarer Teil der Anlagen für unbestimmte Dauer illiquid geworden" sei (vgl. Erläuterungsbericht KKV, S. 23).

 Voraussetzung ist also das Vorliegen eines aussergewöhnlichen Falls wie die Illiquidität von Fonds-Assets infolge der Ukrainekrise. Weiter ist nachzuweisen, dass die Bildung von Side Pockets im Interesse der Gesamtheit der Anlegerinnen und Anleger ist, dass deren Rechte gewahrt werden und dass keine weniger einschneidende Massnahme zur Steuerung der Liquidität der Kollektivanlage zur Verfügung steht. Schliesslich ist das Gesuch auch hinsichtlich Einsatz, Verfahren, Bewertung, Kosten, sowie Risiken umfassend zu begründen  (vgl. Erläuterungsbericht KKV, S. 23).

 Schlussbemerkungen

 Diese allgemeinen Grundsätze wurden im von Koller Law investorenseitig begleiteten Projekt angewandt und die in casu von der Fondsleitung vorgenommene und von der FINMA bewilligte Umsetzung enthalten wichtige Konkretisierungen betr. die Genehmigungsfähigkeit von Side Pockets als "Liquidity Management Tool" kollektiver Kapitalanlagen mit illiquiden Vermögenswerten.

 Die Prinzipien sind von Fondsleitungen, welche sich in vergleichbaren Situationen befinden, zu beachten, und können eine Pflicht begründen, bei der FINMA die Bildung von Side Pockets zu beantragen.

 Dabei werden sich Fondsleitungen voraussichtlich auch auf ein Zirkular abstützen können, welches die Asset Management Association in diesem Zusammenhang voraussichtlich in den nächsten Monaten zu diesem Thema publizieren wird.

Für weitere Informationen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

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